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Abenteuer Leben. Studium. Beruf. © Sarah Staber & Stephanie Briegl / MEINPLAN.at
10.07.2018 | Ehrenamt | Mariella Hartig

Was 12 Becher Sauerrahm mit einer Juke-Box zu tun haben

Ein ganz gewöhnlicher Montag-Abend mit ganz außergewöhnlichen Begegnungen: Zu viert kochen wir für die 60 Gäste der VinziRast Notschlafstelle.

Seit ca. 15 Jahren gibt es sie schon, die VinziRast im 12. Wiener Gemeindebezirk. Bis zu 60 Personen bekommen dort täglich ein warmes Abendessen, ein Bett und ein Frühstück. Neben den Aufenthaltsräumen stehen den Gästen Badezimmer zur Verfügung und sie erhalten bei Bedarf neue Kleidung. Vor allem aber steht die Zuwendung, Akzeptanz und Begegnung an diesem Ort im Vordergrund.

 

HEinzelmännchen am Werk

Jeden Abend gibt es zwei Teams von Ehrenamtlichen, die den Betrieb dieser so wichtigen Einrichtung sicherstellen: das Nachtdienst-Team begrüßt die Gäste, nimmt ihre Daten auf, vergibt Betten und Essensgutscheine und ist die Nacht über Ansprechpartner für die Gäste. Das Koch-Team ist für die kulinarische Versorgung der Gäste zuständig und bereitet ein warmes Abendessen zu. Gemeinsam mit ein paar Freunden darf ich seit vielen Jahren dieses Koch-Team unterstützen und euch heute einen Einblick geben: ein ganz gewöhnlicher Montag mit ganz außergewöhnlichen Begegnungen.

 

 
Ein Abend in der VinziRast © Mariella Visy/MEINPLAN.at
 

© Mariella Visy/MEINPLAN.at

 

 

16:15 Uhr: Der Weg vom Bahnhof Meidling führt mich an ein paar Wettbüros und Kosmetikstudios vorbei die Wilhelmstraße entlang. „Eintritt nicht vor 17:30 Uhr“, steht für die Gäste an der Türe, wir kommen mit dem Koch-Schlüssel bereits etwas früher hinein. Zu viert treffen wir uns in der Küche der VinziRast und inspizieren die aktuelle Kühlschrank-Situation: Was ist von gestern übrig geblieben? Gibt es Lebensmittelspenden, die verkocht werden müssen, bevor sie schlecht werden? Wir finden ca. 3 kg Karotten und ein bisschen Salatgemüse und machen uns auf den Weg zum nahegelegenen Supermarkt, um für das heutige Abendessen einzukaufen.

 

 
Ein Abend in der VinziRast © Mariella Visy/MEINPLAN.at
 

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16:30 Uhr: Im Supermarkt um die Ecke besteht die Kunst darin, zu einem Einkaufspreis von ca. 1€ pro Person alle nötigen Zutaten zu besorgen. Heute werden wir ca. 60 Gäste der Notschlafstelle mit einem 3-Gänge-Menü verköstigen. Wir entscheiden uns für einen Gemüse-Nudel-Auflauf, eines unserer Lieblingsrezepte für so große Mengen. Zwischen Gemüse-Abteilung und Kühlregal versuchen wir uns an die relevanten Mengen zu erinnern und hoffen, dass wir nichts vergessen haben. „Abgabe nur in Haushaltsmengen“ kommt mir in den Sinn, als ich zwölf Becher Sauerrahm in den Einkaufswagen stelle. Tja, das gilt wohl nicht für uns… Zum Schluss schnappen wir uns noch ein paar Papp-Kisten, denn die Einkäufe müssen wir ja auch wieder in die VinziRast tragen.

 

 
Ein Abend in der VinziRast © Mariella Visy/MEINPLAN.at
 

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17:00 Uhr: Zurück in der Küche beginnen wir mit der Zubereitung: 3kg Zwiebeln werden unter vielen Tränen gehackt und angebraten, 3kg Karotten geschält und geschnitten, 4kg Zucchini zerkleinert, 20 Tomaten geschnitten, Nudeln gekocht, Salat gewaschen, Joghurt gerührt, Speisesaal vorbereitet, …

8 Hände arbeiten im Akkord, daneben singt das Radio – und wir singen mit. Um 18:30 Uhr muss alles bereitstehen, denn dann kommen die ersten Gäste. Wir merken schon, heute wird es eine Punktlandung: Kurz vor 18:00 Uhr ist der Auflauf fertig und wandert ins Backrohr. So bleibt uns noch eine gute halbe Stunde, um den Salat fertig zu machen, Brot aufzuschneiden und die Nachspeise herzurichten. Wasserkrüge stehen am Tisch, die Teller sind bereit. Die Gäste können kommen.

 

 
Ein Abend in der VinziRast © Mariella Visy/MEINPLAN.at
 

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18:30 Uhr: Die Türe geht auf und die ersten Gäste kommen herein, nachdem sie sich beim Empfang angemeldet und ihren Essensgutschein bekommen haben. Einer nach dem anderen kommt zu uns und bekommt im Austausch für den Gutschein Auflauf, Salat und Nachspeise. Wir schöpfen aus zwei verschiedenen Auflaufformen: Es gibt das heutige Menü sowohl vegetarisch als auch mit Fleisch, sodass für alle Gäste mit ihren jeweiligen Vorlieben und Speisevorschriften etwas dabei ist. Innerhalb kurzer Zeit ist schon einiges los im Speisesaal, die Gäste unterhalten sich miteinander, essen gemeinsam und finden einen Moment der Rast und Ruhe nach einem langen Tag auf der Straße.

 

„Gibt’s heute wieder Suppe?“, fragt ein älterer Herr ohne Zähne, nennen wir ihn Bruno. Wir kennen Bruno bereits, er ist ein Hausbewohner in der Wilhelmstraße, der uns beim Kochen ab und zu Gesellschaft leistet und die Neuigkeiten aus dem Haus berichtet. Zum Glück ist Linseneintopf von gestern übrig geblieben, Bruno bekommt einen Teller und ist im Glück, denn die Suppe kann er auch ohne Zähne wunderbar essen.

 

Ein Abend in der VinziRast © Mariella Visy/MEINPLAN.at
 

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20:00 Uhr: Der erste Ansturm ist vorbei, die Hälfte bereits aufgegessen. Wir nützen die kurze Ruhepause und machen noch eine Schüssel Salat fertig, füllen die Wasserkrüge auf und kommen endlich mit dem Abwasch nach. Während uns die einen Gäste mit Komplimenten zu unseren Kochkünsten überhäufen und aus ihrem Leben erzählen, kommt auf der anderen Seite der Küchenzeile schon wieder die nächste Gruppe zur Essensausgabe, diesmal ein bisschen ungeduldig. Mit Händen und Füßen versuchen wir ihnen das heutige Menü zu erklären. Ob Fleisch im Auflauf ist? Zum Glück gibt’s in der Küche eine Zeigetafel mit verschiedenen Tier-Illustrationen drauf. Damit lässt sich das sprachliche Hindernis einfach überwinden. Ich setze den Pfeil auf der Tafel auf „Schwein“, so ist für alle ersichtlich, dass im Nudelauflauf auch Speck dabei ist.

 

 
Ein Abend in der VinziRast © Mariella Visy/MEINPLAN.at
 

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20:30 Uhr: Bald ist der Abend vorbei und wir fangen an, die Töpfe und Flächen zu putzen und wegzuräumen. Denn die Küche hinterlassen wir so, wie wir sie vorgefunden haben: aufgeräumt, abgewaschen und sauber. Der allgemeine Lärmpegel im Speisesaal wird weniger und wir machen die Musik lauter, denn mit ein bisschen Küchenkaraoke lässt sich die mit Käse überbackene Auflaufform gleich viel einfacher schrubben. Kurz vor dem Ende unseres Einsatzes kommt ein weiterer Hausbewohner zu uns in die Küche, sieht, wie wir voll Freude mitsingen und wünscht sich ein Lied: Daniel von Elton John ist sein Lieblingslied, ob wir das für ihn spielen können? Wir ändern die Playlist und singen gemeinsam mit ihm sein Lied, während wir die Mistsäcke zusammenbinden.

 

Daniel, wie wir ihn ab nun nennen, ist aber nicht der einzige Musikliebhaber in der VinziRast. Ein andermal kam ein Gast mit seiner Gitarre unter dem Arm zu uns in die Küche, hat das Radio abgedreht und uns erwartungsvoll angeschaut: Jetzt bin ich die Juke-Box, was wollt ihr singen? Zwischendurch zeigt der Geschirrspüler mit einem lauten Pfeifton das Ende des Waschgangs an und wir räumen die letzten Teller in den Kasten.

 

 
Meinplan.at
 

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21:00 Uhr: Fertig für heute. Müde und erschöpft mache ich mich auf den Weg zur U-Bahn und bespreche mit meinem Koch-Team, wann wir das nächste Mal wieder in die Vinzi Rast gehen. Das gemeinsame Kochen ist für uns zu einem monatlichen Fixpunkt geworden. „DreamTeam VinziRast“ heißt unsere WhatsApp-Gruppe, in der wir uns die Termine ausmachen und Rezepte sammeln, und als Freunde durch das gemeinsame Kochen unglaublich zusammengewachsen sind. Nicht nur die Zwiebel-Schneide-Geschwindigkeit hat sich bei uns allen in den letzten Jahren maßgeblich erhöht. Wir durften an unseren vielen VinziRast-Abenden lernen, was es heißt, aus Kühlschrank-Resten zu improvisieren, in wenig Zeit ein gutes und optisch ansprechendes Essen auf den Tisch zu zaubern. Vor allem aber sind unsere monatlichen Kochabende auch immer ein Reality-Check für mich: Wie unbedeutend sind meine eigenen Probleme angesichts des Schicksals der Menschen, die nicht einmal ein Dach über den Kopf haben, geschweige denn etwas zu essen.

 

 
Vor allem aber sind unsere monatlichen Kochabende auch immer ein Reality-Check für mich: Wie unbedeutend sind meine eigenen Probleme angesichts des Schicksals der Menschen, die nicht einmal ein Dach über den Kopf haben, geschweige denn etwas zu essen.
 

 

21:30 Uhr: Am Weg nach Hause gehen mir noch viele Eindrücke vom heutigen Abend und den vergangenen VinziRast-Einsätzen durch den Kopf. Das unscheinbare Haus in der Wilhelmstraße ist voller Überraschungen und schöner Begegnungen. Ich komme bald wieder.

 

Vor allem in der Urlaubszeit über den Sommer suchen die Heinzelmännchen in der VinziRast nach Verstärkung. Wenn deine Superpower das Kochen ist und du gerne deine Kochkünste zum Einsatz bringen möchtest, melde dich einfach bei Heidi Mandl. Dort erfährst du alles Weitere, wann und wie du dich zum Kochen einteilen lassen kannst.

Mariella Hartig

Fasziniert von der Schönheit der Natur, dem Austausch mit den Menschen um mich herum und meinem Engagement in einer ehrenamtlichen Hilfsorganisation finde ich eigentlich überall Inspiration. Es macht mir große Freude, Projekte auf die Beine zu stellen, kreativ zu gestalten und Neues kennenzulernen. Meine Begeisterung für Kunst & Kultur, Reisen und gute Bücher findet sich ebenso in meinen Blogs wie die Lebensweisheiten beeindruckender Persönlichkeiten.

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